Die Sparda-Bank München ist eines der ersten Unternehmen in Deutschland und die erste Bank überhaupt, die nach der so genannten Gemeinwohlökonomie zertifiziert ist und danach bilanziert. Was das heißt und bedeutet, für Führende und Geführte: In der aktuellen Folge meines Podcasts "Positiv Führen" habe ich mit dem Vorstandsvorsitzenden Helmut Lind darüber gesprochen. Und hier die wichtigsten Ahas und Öhas, die mir in und nach dem Gespräch gekommen sind:
Regelmäßig Energiebilanz ziehen: „Welche Aufgaben, Tätigkeiten, Zuständigkeiten geben mir Energie? Und was zieht mir Energie?“ Haben Sie sich, haben Sie Ihren Mitarbeitenden schon mal diese Frage gestellt? Sollten Sie, denn
- erstens bringen Sie damit vielleicht das Bewusstsein von den Dingen, die gut laufen, und jenen, die verbessert werden müssen, vom Kopf in den Bauch;
- die Frage nach den Energiespendern und den Energiefressern schärft das Bewusstsein für Stärken – die eigenen und die anderer;
- der Austausch über das, was mir Energie nimmt und Dir Energie verschafft, lässt Teams zueinander kommen – eine der Hauptherausforderungen in Zeiten stärker verteilten Arbeitens;
- diese Energiebilanzierung kann der Beginn von Maßnahmen des Job-Craftings sein, das wiederum zu mehr Motivation und Engagement am Arbeitsplatz verhelfen kann. Denn in welcher erfolgreichen Organisation tut jedeR genau das, was ihr oder ihm mal aufgetragen wurde?
Stärken stärken: Bei der Sparda-Bank München werden seit 2007 bei sämtlichen Mitarbeitenden Stärkentests durchgeführt. „Darf ich hier die oder der sein, die/der ich wirklich bin?“ Das wird damit gefördert. Echter Stärkenfokus heißt auch, die andere Person, mit deren Andersartigkeit ich vielleicht gerade eine Herausforderung habe, gerade in ihrem Unterschied zu wertschätzen. Denn am liebsten mögen wir natürlicherweise erstmal jene, die so sind wir wir selbst.
Schattenarbeit schätzen: Konflikte sind wertvoll – auch wenn sie sich häufig, pardon: scheiße anfühlen. Wer versteht, warum sie oder er bei diesem oder jenem Thema ausflippt, welche Knöpfe wann von wem gedrückt werden, kann sich klarer damit auseinandersetzen, was sie oder ihn wirklich ausmacht.
Gemeinwohl statt Meinwohl: Wer – etwa nach einem Stärkentest – von der Führungskraft verlangt, diese habe einen ausschließlich entlang der eigenen Stärken einzusetzen und dürfe gar nichts mehr fordern, das an den (vermeintlichen) eigenen Talenten und Qualitäten vorbeigeht – die oder der hat Stärkenorientierung (bewusst) missverstanden. Denn gute Führungskräfte sollten nicht nur Stärken sehen und anerkennen, die sich in der Arbeit zeigen, sondern auch jenen schlummernden Stärken nachfahnden, die möglicherweise in den Mitarbeitenden stecken und nur durch fordernde Aufgaben auf die Straße zu bekommen sind. Und sie sollten nicht davor scheuen, auch Schwächen konstruktiv anzusprechen. Nur sollten sie darüber nicht den Fokus auf die Stärken aus dem Blick verlieren.
Innenschau wirkt nach außen: Gute Führung fängt bei guter Selbstführung an. Die einen kommen beim Bergsteigen zu sich, die anderen beim Schwimmen, die übernächsten beim Joggen und wieder andere beim TaiChi oder Yoga. Gerade in so ungewissen und unübersichtlichen Zeiten wie jetzt sollten sich Führende immer wieder Zeit nehmen, um die eigene Säge zu schärfen – dann tun sie sich beim Bäumefällen viel leichter.
Gemeinwohlökonomie ist integrativ: Eine Wirtschaft, die menschlicher, sozialer, verteilungsgerechter, nachhaltiger, demokratischer ist – das ist das Konzept der Gemeinwohlökonomie. Schon Aristoteles unterschied zwischen
- einerseits der »oikonomia«, in der Geld nur Mittel ist ZUM Zweck
- und der »chrematistike«, in der das Erwerben und Horten von Geld DER Zweck allen wirtschaftlichen Handelns ist.
Eine Wirtschaftsform, die people, planet und profit unter einen Hut bringen will, vielleicht würde das sogar Aristoteles heute so formulieren, ist daher nichts radikal neues – sondern eigentlich die Realisierung uralter ökonomischer Leitprinzipien.
Gemeinwohlökonomie ist nichts, was man sich leistet: Wer die Prinzipien der Gemeinwohlökonomie für naiv oder einen Modetrend hält, wird irren. Denn Unternehmen, die ihre Produkte und Prozesse nicht an den Kriterien der Nachhaltigkeit und am Wohlbefinden ihrer Mitarbeitenden ausrichten, werden künftig enorme Nachteile haben, und zwar
- wegen hoher Kosten
- wegen enttäuschter Kunden
- wegen anspruchsvoller Investorinnen
- wegen den Talenten aus den Generationen Y und Z, die mehr Sinnorientierung von ihren Arbeitgebern verlangen.
Lieber schlampig starten als in Perfektion stehen bleiben: Ob es um eine neue Form der Führungskultur geht oder um andere Innovationen – gerade deutsche Organisationen planen sich gern zu Tode für die Goldrandlösung. Anstatt einfach mal zu machen, zu testen, zu evaluieren und dann zu optimieren. Die vielen, schnellen und tiefgreifenden Formen des Wandels, zu denen Corona uns alle seit knapp zwei Jahren zwingt, sind doch eigentlich eine Ermutigung, Schritte in eine neue Richtung einfach mal zu gehen – und irgendwann später zu überlegen, was aus dem Provisorium in eine neue Dauerhaftigkeit zu überführen ist.
Covid macht mentale Fitness besprechbarer: Ich will hier nichts schönreden, was die Pandemie vielen Menschen an psychischen, sozialen und gesundheitlichen Folgen beschert hat, können wir noch nicht absehen. Aber auch Schmerz und Leid sind wichtige Lehrmeister im Leben, sie zeigen uns unsere wahren Bedürfnisse und Prioritäten auf. Positive Leadership wäre ein Missverständnis, wenn sie nur auf das Schöne, Gute, Wahre einginge – auch konstruktiver Umgang mit Krisen und Kummer gehört dazu. Die Unsicherheit, der Frust und die massiven Veränderungen, gepaart mit einem Mangel an Erholungsquellen, haben geistiges und seelisches Wohlbefinden in den Organisationen zu einem besprechbareren und besprechenswerterem Thema gemacht. Auch und gerade für Führungskräfte. Und das bleibt uns nach der Pandemie hoffentlich als eine der wenigen positiven Folgen in Erinnerung.
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Mit positiven Grüßen aus Garmisch-Partenkirchen
Christian Thiele
P.S.: Sie machen das gut!