Stärken stärker stärken als Führungskraft: Antworten auf 11 Fragen, die mir immer wieder gestellt werden

CHRISTIAN THIELE

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Was sind Stärken eigentlich?

Stärken sind, um es mal simpel zu formulieren, Dinge, die wir gut, gerne und erfolgreich tun. Um es etwas genauer und wissenschaftlicher zu formulieren: Stärken sind Muster des Denkens, Fühlens, Handelns, die optimales funktionieren ermöglichen. Sie ermöglichen uns Leistung und Performance, sie fallen uns leicht, und sie gehören zum Kern unserer Identität – wir können also gar nicht anders als genau, begeisterungsfähig, kreativ, bescheiden zu sein – oder was auch immer die jeweilige Stärke sein mag.

Stärken stärken – wozu?

Die Positive Psychologie, also die Wissenschaft des gelingenden Lebens, hat in den ersten zwei Jahrzehnten ihrer Existenz in kaum einem Bereich so viele harte Daten erhoben wie im Bereich der Stärkenforschung. Jedes Jahr erscheinen Hunderte von Studien in renommierten, wissenschaftlichen Zeitschriften, die den Nutzen von Stärken empirisch belegen. Unter anderem wissen wir, dass Menschen, die den Wert eigener Qualitäten erkennen und anerkennen:

  • glücklicher sind
  • höheren Selbstwert haben
  • zuversichtlicher in Bezug auf ihre Aufgaben sind
  • über mehr Energie besitzen
  • resilienter im Umgang mit herausfordernden Situationen sind
  • höhere Füllstände bei den so genannten psychologischen Grundbedürfnissen (Autonomie, Verbindung, Selbstwirksamkeit) haben
  • deutlich engagierter arbeiten
  • produktiver sind
  • mit Wandel offener und flexibler umgehen
  • kooperativer und teamorientierter arbeiten.

Aus eigener Erfahrung als Coach und Trainer weiß ich: In Teams, in denen Stärken benannt und anerkannt werden, gibt es weniger Konflikte, arbeitet die Hyperkorrekte mit dem Megakreativen besser und reibungsloser zusammen, weil ihre jeweiligen Stärken mehr gesehen und gewürdigt werden.

Wie geht man damit um, wenn man mit bestimmten Stärken aneckt?

Bei Stärken geht es letztlich immer um eine Passung zwischen Personen und Situation, zwischen Individuum und Kontext: Meine Gründlichkeit kann im einen Kontext total wertvoll und wertgeschätzt sein, im anderen Kontext wird sie vielleicht als Kreativitätsbremse empfunden. Stärken haben ein Optimum, das in der Regel nicht das Maximum ist, wir können Stärken über- und unternutzen. Stärkenentwicklung heißt daher: Zu wissen, wo meine Qualitäten richtig und wichtig sind und wo es andererseits sinnvoll sein kann, diese herunterzudimmen oder mit anderen Stärken auszugleichen. Feedback oder Coaching können dabei helfen.

Was haben Stärken mit unseren Werten zu tun?

Ähnlich wie wie Werte oder Ziele oder Denkmuster sind Stärken einen Teil unserer Identität. In der Regel sind sie stabiler als zum Beispiel Emotionen, eine Stärke habe ich nicht am Montagmorgen und am Montagmittag dann nicht mehr. Sie sind allerdings nicht ganz so stabil wie etwa Werte, die sich in der Regel seltener verändern. Stärken zeigen sich mehr im außen, im Handeln als Werte, diese liegen in der Regel unseren Präferenzen oder Meinungen zu Grunde.

Sind Stärken veränderbar oder sind diese fester Bestandteil meiner Identität?

Wir verändern, moderieren, modellieren unsere Stärken permanent. Zum Beispiel wenn wir von einem Job in einen anderen wechseln, spielen bestimmte Stärken plötzlich keine große Rolle mehr, weil sie dort nicht gefragt sind – andere Qualitäten werden dafür wichtiger. Das Bewusstmachen von Kompetenzen und Qualitäten, etwa durch stärkenorientiertes Feedback, kann dabei helfen, sie zu entwickeln und günstiger in Wirkung zu bringen.

Was wären gute Ratschläge, um eigene Stärken mehr zu wertschätzen?

Dazu habe ich verschiedene Tipps:

  • Unsere eigenen Stärken liegen häufig im toten Winkel, wir sind uns ihrer nicht bewusst. Deshalb hilft es, sich von Kolleginnen, Vorgesetzten oder auch Mitarbeitenden Rückmeldung über die Dinge zu holen, die wir aus deren Sicht besonders gut machen und können.
  • Besonders für sehr bescheidene Menschen kann es hilfreich sein, den Wert der eigenen Stärken für andere, für die Zusammenarbeit im Team bewusst zu machen, dann können sie sich diese vielleicht leichter sich zu eigen machen.
  • Auch sinnvoll: Erfolge, Fortschritte immer reflektieren mit der Frage: Welche Stärken haben mir dabei geholfen, Schritt X zu gehen, Projekt Y fertig zu stellen etc.?
  • Ein Stärkentest kann auch dabei helfen, Stärken schwarz auf weiß sichtbarer zu machen.

Was bringen Stärkentests?

Es gibt drei ernstzunehmende Stärkentests, die wissenschaftlich gut beforscht sind: 

Der via-Stärken Test wird jährlich in circa 100 neuen Studien validiert, ist kostenlos in unterschiedlichen Sprachen verfügbar – braucht aber manchmal aufgrund seiner Begrifflichkeiten Übersetzung, zum Beispiel durch Coaching.

Der CliftonStrengths (Früher StrengthsFinder) kostet Geld, ist auch auf Deutsch erhältlich, ist in seiner Begrifflichkeit näher an der Arbeitswelt, gilt aber als wissenschaftlich schwach unterfüttert.

Das relativ neue StrengthsProfile wird hierzulande bislang nur über wenige zertifizierte Beraterinnen auf Englisch angeboten. Aufgrund seiner enormen Qualität wird er in den nächsten Jahren sicherlich an Breite gewinnen, da bin ich mir sicher.

Vor allem in Teams können formale Stärken-Assessments sehr hilfreich sein, um kollektive Ausprägungen sichtbar und besprechbar zu machen. Auch im Coaching können sie unter Umständen nützlich sein.

Was, wenn meinE Chefin meine Stärken nicht sieht? 

Erst mal ist das schade. Zweitens leider weit verbreitet. Drittens dysfunktional, aufgrund der oben genannten Vorteile. Viertens lässt es sich vielleicht verändern, in dem man den/die Chefin explizit um Stärken Feedback bittet oder ihr/ihm zunächst mal jene besonderen Qualitäten rückmeldet, die man selbst an ihr/ihm sieht und wertschätzt. Vielleicht hilft das.

Meine Kollegin kann Komplimente und Lob ganz schlecht annehmen, was mache ich da?

Schule, Eltern, Führende – und auch viele Beraterinnen und Coaches – sind sehr stark auf das Defizit, das Problem fokussiert. Häufig gilt Stärkenbewusstsein gleich als Arroganz. Das schon mal bewusst machen, kann helfen. Vielleicht ein weiterer Tipp: Der Kollegin den Wert ihrer Qualitäten für die Zusammenarbeit im Team, für die Kundinnen, für die Lieferanten etc. sichtbar machen.

Eine Aufgabe entspricht nicht meinen Stärken – was tun?

Laut einer Befragung von Price Waterhouse Coopers können gerade mal 22 % der Beschäftigten regelmäßig ihre Stärken im Job auf die Straße bringen. Das ist bitter.

Dass mein komplettes Arbeitsleben nur entlang meiner Stärken stattfindet, ist wahrscheinlich wenig realistisch. Aber wenn ich den Eindruck habe, viel zu sehr in Bereichen zu arbeiten, die nicht meinem "Sweet spot" entsprechen, empfehle ich:

  • Job Crafting, also das Anpassen meiner Stellenbeschreibung an meine Stärken
  • Delegation von ungeliebten Aufgaben an andere, die in genau diesen Bereichen ihre Stärken haben, diese Dinge gern, erfolgreich und leidenschaftlich tun
  • Oder notfalls mir einen anderen Job suchen, innerhalb oder außerhalb der Organisation.

Soll ich denn Schwächen komplett ignorieren?

Auf!

Gar!

Kei!

Nen!

Fall! 

Wir alle haben Schwächen, und im schlimmsten Fall können diese sogar dazu führen, dass wir unsere Stärken nicht ausspielen können, es lohnt sich also diese in den Blick zu nehmen. (Ausführlicher habe ich hier über das Thema geschrieben.) Gut ist es, dabei realistisch zu sein, also genau zu erörtern wo die Schwäche dann wirklich ins Gewicht fällt – und wo nicht. Häufig ist das, was wir als Schwäche wahrnehmen, eigentlich eine übertriebene stärke – was also wäre ein angemessener Gebrauch der Stärke? Auch eine möglicherweise hilfreiche Frage: Welche Stärken können dabei helfen, ein zu viel oder zu wenig an Stärke zu kompensieren? Auch können Mentorings, Seminare dabei helfen, bestimmte Schwächen auf ein Niveau zu bringen, dass sie weniger relevant werden. Doch Stärken werden in aller Regel nicht daraus werden, das ist auch meistens viel zu mühsam. Wichtiger ist es, sich auf die Stärken zu fokussieren! Oder wie der große Peter Drucker meinte:

Stärken produktiv zu nutzen, ist der einzige Zweck einer Organisation. Natürlich können wir so die Schwächen nicht bezwingen, die wir alle zu Genüge besitzen. Aber wir könne dafür sorgen, dass sie irrelevant werden.

Peter Drucker, The Effective Executive

Wenn Sie mehr wissen wollen

Hier einige Angebote von mir, wenn Sie mehr hören, lesen, wissen, erleben wollen:

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Mit positiven Grüßen aus Garmisch-Partenkirchen

Christian Thiele

P.S.: Sie machen das gut!

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Christian Thiele

ÜBER DEN AUTOR

Mehr Leistung, Freude, Gesundheit und Sinn, mit den Methoden der Positive Leadership: Darum geht es mir in meiner Arbeit als Coach, Trainer, Teamentwickler und Vortragsredner. Für Führungskräfte, Teams und Organisationen. Verliebt, verlobt und bald verheiratet mit Christiane. Vater. Skitourengeher.

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