Das awe-Gefühl erleben, verstehen, verstärken

CHRISTIAN THIELE

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Am 6. August 1942 umstellen SS-Truppen ein jüdisches Waisenhaus im Warschauer Ghetto.Das Haus wird geleitet von Janusz Korczak, einem Arzt und Reformpädagogen. Er hat das Haus gegründet, hat dort ein Kinderparlament eingerichtet und eine Kinderzeitung und ein Kindergericht.

Er weiß, was den Kindern bevorsteht: der Weg in die Gaskammern von Treblinka. Er hätte gerettet werden können, als Arzt, man hat ihm Sonderbehandlung angeboten – aber Korczak hat abgelehnt. Er bleibt bei seinen Kindern und hat sie vorbereitet.

Er hat ihnen von einer Reise erzählt. Hat sie in die beste Kleidung gesteckt, als wären auf einer Prozession. Er hält die Kinder an der Hand, gemeinsam singen sie fröhliche Reiselieder.

Am Umschlagplatz steigen sie in den Zug nach Treblinka. Sie glauben, dass sie in ein schönes fremdes Land fahren, mit Pilzen und Beeren, so erzählen es jene, die den Kinderzug beobachtet haben. Angeblich, das berichten SS-Männer und andere Lagerinsassen später, gehen sie friedlich und singend in die Gaskammern, alle 200 sterben. Auch Korczak.

Ihm wird posthum der Friedenspreis des deutschen Buchhandels verliehen. Straßen und Plätze tragen Korczaks Namen. Später wird ein Stern nach ihm benannt. 

 

Ich lebe in Garmisch-Partenkirchen. Morgens, wenn ich meinen Kaffee hole, gehe ich auf den Balkon und schaue auf die Alpspitze. Eine Felspyramide, so klar und simpel wie von einem Kind gezeichnet, rot angeleuchtet von der Morgensonne.

Dadadadadidadadadada: Kennt Ihr das? So beginnen die Goldberg-Variationen von Johann-Sebastian Bach von 17hundertirgendwas? (BWV 988, hier in einer Einspielung von Glenn Gould). Eine ganz simple, volksliedhafte  Arie in G-Dur, die sich dann in 30 Variationen ergießt, in ein Feuerwerk an Virtuosität in Dur und Moll, in langsam und schnell, alle großen Pianistinnen haben sie eingespielt oder aufgeführt. Das Stück ist über 300 Jahre alt, es ist ein Weltwunder, inniger und gleichzeitig bunter, verrückter und halsbrecherischer und lyrischer kann Musik nicht sein für mich. 

Und ich bekomme immer Tränen der Rührung, wenn ich sie auf Spotify oder im Konzert höre.

So wie ich merke, dass ich Gänsehaut bekomme, wenn ich morgens auf die Alpspitze oder auf andere schöne Berge schaue.

Und so wie ich immer weinen musste, wenn mir meine Oma, eine geborene Polin, mit einem Wehrmachtssoldaten verheiratet, die Geschichte von Janusz Korczak und seinen Kindern erzählte.

Was diese drei Erfahrungen gemeinsam haben, ist das Thema, über das ich hier mit Euch sprechen und arbeiten will: awe.

  • Was ist awe?
  • Wozu sich mit awe befassen?
  • Wie könnten wir bewusster mit Awe leben und arbeiten – dazu habe ich ein paar Ideen und Anregungen.
  • Und ich schließe mit einer Meditation über Awe.

 

Interaktion: Was ist “awe” für Dich?

Tausche Dich doch bitte 2 Minuten mit Deiner Nachbarin, Deinem Nachbarn aus – oder denke still für Dich nach.

Definitionssache: Was ist eigentlich "awe"?

Fangen wir mal beim Wort an, ihr sollt ja hier was lernen: 

„awe“ wird mit offfenem O gesprochen, als gerundeter halboffener Hinterzungenvokal – (zu unterscheiden vom gerundeten halbgeschlossenen Vorderzungenvokal): "awe" wie "offen" [ˈɔfn̩], "Tonne" [ˈtʰɔnə], "Boxen" [ˈbɔksn̩]. Oder auf französisch: "homme" [ɔm], "fort" [fɔʀ], "porte" [pɔʀt]. Es muss die Kinnlade ein wenig offen stehen, wenn man das gut aussprechen will. Allerdings musst Du aufpassen, dass es dann nicht hineinregnet...

"Awesome": das kennen wir – und wir kennen auch gleichzeitig: "aweful". Und das sagt schon mal viel aus:

Awe ist etwas, das uns buchstäblich Gänsehaut macht. Wenn wir also auf in der Matrix, die in der Psychologie häufig verwandt wird, unterscheiden zwischen einerseits schwach empfundenen und intensiv empfundenen Emotionen und andererseits denen, die wir als angenehm und jenen, die wir als unangenehm empfunden, dann ist  "awe" sicher bei den intensiven – und vielleicht eben irgendwo zwischen angenehm und nicht so angenehm.

Überwältigung. Inspirierende Ergriffenheit. Demütiges Staunen. Hochachtung. So würde ich den Begriff annähernd übertragen. Aber eigentlich lässt er sich nicht übersetzen.

Deshalb ist es gut, dass wir ihn jetzt alle auf Englisch können. Gern nochmal: "aaaaawe"!

Wie lässt sich Awe wissenschaftlich definieren? 

Ich schlage zwei Varianten vor:

-   als einer von mehreren selbsttranszendenten Zuständen, ein Bereich der Emotionen, der uns aus unserem selbstbezogenen, bedrohungsorientierten und statusquo-orientierten Denken heraustransportiert und uns mit etwas Größerem als uns selbst verbindet. Awe als komplexe Emotion, die aus der Wahrnehmung von wörtlicher oder bildlicher Weite entsteht (Chirico Yaden 2018).

- awe als eine Erfahrung, die sich aus zwei Komponenten ergibt: erlebter physischer oder figurativer Weite, also der Wahrnehmung eines Reizes, der zu groß ist, um vom Selbst verstanden zu werden; und dem Bedürfnis nach Anpassung/Akkomodation, also einer Umstrukturierung der eigenen mentalen Strukturen, damit die Informationen aus der neuen Erfahrung verarbeitet werden können (Chen/Mongrain 2021).

Der PANAS, der am weitesten verbreitete Fragebogen zur Erfassung emotionaler Erfahrungen, misst positive Zustände wie aktiv, interessiert, stolz, aufgeregt, stark, inspiriert, aufmerksam, begeistert, entschlossen, – erwähnt aber "awe“ nicht (Krohne et al 1996). Die Awe-Erfahrung liegt nahe bei Bewunderung, Interesse und ästhetischer Wertschätzung – jedoch unterscheidet sie sich deutlich von Gefühlen der Schönheit: Studien zufolge werden offenbar rund drei Viertel der Awe-Erfahrungen angenehm empfunden – und rund ein Viertel sind mit Angst oder Bedrohung verbunden. Wir müssen nicht – wie ich das gerne tue – auf riesigen Gletschern Skitour gehen oder den Eiffelturm besichtigen oder die Goldberg-Variationen im Live-Konzert hören, um Awe zu erleben – wir erleben im Durchschnitt zwei bis dreimal pro Woche Awe-Momente, hat Dacher Keltner herausgefunden (Keltner 2023, 21ff.)

Reflexion: Wo hast Du Awe zuletzt empfunden? 

Keltner berichtet von acht typischen Auslösern, man könnte auch sagen: acht Geschmacksrichtungen von "awe", die typischerweise erlebt werden:

•       Moralische Schönheit/moral beauty

•       Kollektives Verschmelzen/collective effervescence z.B. bei "La Ola" im Fußballstadion 

•       Naturerfahrungen

•       Musikerlebnisse

•       visual design, also ein schönes Bild, eine Skultur, beeindruckende Architektur

•       spirituelle und religiöse Erfahrungen

•       Momente von Leben und Tod

•       Epiphanien, also Heureka-Momente, die uns vielleicht im Studium, beim Lesen, im Coaching oder in der Forschung begegnen, Erkenntnisse oder Einsichten

 Für manche Menschen sind auch neue Geschmackserfahrungen, der erste Sex oder Video Games "awe"-Auslöser (Keltner 2023, 18).

Wozu sich mit Awe befassen?

Awe scheint eine kulturübergreifende, quasi universell empfundene Erfahrung zu sein – die in eher kollektiven Gesellschaften sogar noch häufiger erlebt zu werden scheint (Stellar, Bai, Anderson, McNeil, & Keltner, 2017). Sie zeigt sich bei den meisten von uns in spezifischen Gesichtsausdrücken wie etwa geweiteten Augen (Campos et al., 2013; Shiota, Campos, & Keltner, 2003), an der Stimme (Cordaro et al., 2016; Simon-Thomas, Keltner, Sauter, Sinicropi-Yao, & Abramson, 2009), durch das Entstehen von Gänsehaut,  (Maruskin, Thrash, & Ellliot, 2012), unsere Atmung verlangsamt sich, die Tränenkanäle werden durch den Vagus-Nerv aktiviert. 

Und etwa die Hälfte der körperlichen Indikatoren von "awe" sind universell oder wenigstens kulturübergreifend einheitlich – ein Viertel der Ausdrucksformen sind einzigartig für das Individuum, geprägt von dessen Lebensgeschichte und Genetik; und etwa 25 Prozent der körperlichen Facetten sind kulturspezifisch, in Form von kulturell spezifischen „Akzenten“. (Keltner 2023, 56).

Weshalb also erleben wir so etwas wie "awe"? Welchen Zweck könnte diese Erfahrung haben? Wieso hat uns die Evolution sie eingepflanzt?

 “Nature first” oder “social first”? Es gibt zwei verschiedene Theorien zur Adaptivität, also zum Nutzen von "awe":

-   Awe wird häufig erlebt auf Anhöhen mit weiter Sicht, also wo wir sicher sind vor den Angriffen feindlicher Stämme oder Konkurrenten um Paarung und Nahrung. Kant beschreibt in seiner "Kritik der Urteilskraft" das Erhabene als eine Situation, in der wir in der linken Hand die Caipirinha haben und in der Rechten das Fernglas mit dem Blick auf die kämpfenden Löwen (kein direktes Zitat, mehr dazu unter https://www.projekt-gutenberg.org/kant/kuk/kukp281.html ...) Awe also ein ein Hinweis darauf, dass es hier sicher ist für uns.

-   Awe könnte aber auch auch den Zusammenhalt gestärkt haben, das Eintreten für das Kollektiv. Dankbarkeit, Mitgefühl und "awe" sind eine eigene Kategorie der positiven Emotionen, sie transzendieren das Selbst, fördern prosoziales Verhalten (Stellar et al., 2017, p. 201). Das ist die "social first"-Annahme zu "awe".

Wissenschaftliche Argumente dafür, Awe zu kultivieren

Wir könnten ja glauben, dass "awe" uns intellektuell einschüchtert, sprachlos und benommen zurücklässt, bereit macht, die Vernunft einem Dogma, Fehlinformationen, blindem Glauben, einem Guru oder einer angesagten Influencerin unterzuordnen. Die Wissenschaft deute jedoch auf etwas anderes hin: Laborstudien haben gezeigt, wie Ehrfurcht zu rigorosem Denken führt. Studenten, die durch die bewusste Erinnerung an einen weiten Ausblick Ehrfurcht empfunden hatten, waren besser in der Lage, zu unterscheiden zwischen einem starken Argument, das auf solider wissenschaftlicher Evidenz basiert, und einem schwachen Argument, das auf der Meinung eines Einzelnen beruht. (Keltner 2023, 40f).

 Awe lässt uns eher in Systemen, Zusammenhängen denken. "Awe"-auslösende Faktoren fokussieren uns eher auf die Welt als Ganzes, führen weg von der Nabelschau – somit ist "awe" eine Art Katalysator für das "diminished ego" oder "small self" – und für mehr soziale Verbindung (Chen/Mongrain 2020).

Menschen, die in Gegenden leben, die viele awe-induzierende Faktoren aufweisen, scheinen höhere Lebenszufriedenheit und mehr Kooperationsbereitschaft zu zeigen (Frumkin et al. 2017)

 Wer "awe" erfährt,

-   Spendet in der Regel mehr (Piff et al., 2015)

-   hilft häufiger (Prade/ Saroglou, 2016)

-   zeig weniger Neigung zu Angriffsverhalten(Yang et al., 2016)

- und neigt weniger zu egoistischen, antisozialen Handlungen (Bai et al., 2017, Li et al., 2019)

Wozu es übrigens noch mehr Forschung braucht, sind Fragen wie etwa:

  • Wie erleben Kinder awe?
  • Wie unterscheiden sich "awe"-Erfahrungen über unterschiedliche Sinneskanäle – hören, schmecken, sehen etc.?
  • Wie unterscheiden sich natürliche "awe"-Erlebnisse von im Labor induzierten?
  • Und wie können Menschen dazu gebracht werden, "awe" mehr zu erleben?

 Und damit aus meiner Sicht die allerschönste Forschungserkenntnis zu "awe": Hedonische Adaptation führt ja dazu, dass der Effekt von unterschiedlichen Genüssen – Einkäufe, Schokolade, Bier trinken – mit fortlaufendem Genuss immer weniger stark wird. Wir wollen also immer mehr davon. (Lyubomirsky, 2011). "[But] not so with awe. The more we practice awe, the richer it gets", schreibt "awe"-Koryphäe Dacher Keltner als Ergebnis seiner bisherigen Studien (Keltner 2023, 106).

Je mehr wir "awe" kultivieren, desto reichhaltiger erleben wir das Gefühl also offenbar. Also: wie?

Mehr "awesome" leben, coachen, arbeiten: einige Ideen

Du könntest im Coaching, in Seminaren, in der Schule, als Führungskraft unterschiedliche Dinge tun, um "awe" erlebbar zu machen – für Dich, für andere. Manches von den folgenden Anregungen passt zu Deinem Kontext, manches sicher nicht. Schau mal:

- "awe"-induzierende Videos zeigen

-   "awe" im Hochschulunterricht, in Seminaren einbringen

-   als Montagmorgenrunde, als Positivitätsbooster die Frage stellen: "wer hat in den letzten Tagen etwas Beeindruckendes, Erstaunliches, Erhebendes – etwas "awesomes" erlebt?

-   "awe" erheben und messen – entweder mit der Awe-Experience Scale (Yaden et al. 2019), diese fragt 30 Items ab wie

o   Ich spürte, dass die Dinge vorübergehend langsamer wurden

o   Ich hatte das Gefühl, mit allem verbunden zu sein. 

o   Ich erlebte etwas, das größer war als ich selbst.

o   Ich fühlte mich herausgefordert, das, was ich erlebte, geistig zu verarbeiten

oder mit der Skala zur Messung ästhetischer Emotionen (🙏vielen Dank für den spontanen Hinweis, lieber Prof. Dr. Michael Eid!), die neben Faszination, Humor, Vitalität, Überraschung unter anderem auch "awe" abfragt. (Eid et al 2017).

Das "awe-Tagebuch"

Erinnere einen Moment, in dem du ein Gefühl von "awe"/Ehrfurcht empfunden hast aufgrund dessen, was du gesehen oder erlebt hast.

"Awe"/Ehrfurcht wird definiert als eine Reaktion auf Dinge, die als weit und überwältigend wahrgenommen werden und die deine Sicht auf die Welt verändern. Dieses Gefühl der Weite kann physisch sein (z.B. ein Panoramablick von einem Berggipfel) oder psychologisch (z.B. eine brillante Idee). Menschen können Ehrfurcht empfinden, wenn sie sich in der Gegenwart einer schönen Naturlandschaft oder eines Kunstwerks befinden, wenn sie eine bewegende Rede oder Aufführung sehen, wenn sie Zeugen von großem Altruismus oder Momenten "moralischer Schönheit" werden, wenn sie eine spirituelle oder religiöse Erfahrung machen uvm.

Versuche, Dich Deine jüngsten "awe"-Erfahrung zu erinnern.Wenn du etwas gefunden hast, schreibe es so detailliert wie möglich auf.

 So oder so ähnlich könnte eine Anleitung für "awe journalling" aussehen. 

In Experimenten berichteten Teilnehmer, die zu awe-journalling angeleitet wurden,  

  • dass sie mehr Zeit zur Verfügung hatten, 
  • weniger ungeduldig waren, 
  • Erlebnisse gegenüber materiellen Produkten zu bevorzugen, 
  • größere Lebenszufriedenheit berichteten als Testpersonen, denen man in der Studie andere Gefühle induziert hatte (Rudd et al. 2012).

Die "awe"-Geschichte

Nimm dir einen Moment Zeit, um eine Geschichte über "awe" zu lesen. Die Geschichten und anderen Reize, die "awe"/Ehrfurcht auslösen, haben tendenziell zwei gemeinsame Merkmale:

•       Sie vermitteln ein Gefühl der Weite, das deine eigene kleines Sein in der Welt in Perspektive setzt. Diese Weite kann entweder physisch sein (z.B. ein Panoramablick von einem Berggipfel) oder psychologisch (z.B. ein außergewöhnlich mutiger oder heroischer Akt des Gewissens).

•       Sie verändern die Art und Weise, wie du die Welt verstehst. Zum Beispiel könnten sie deine alltäglichen Sorgen weniger wichtig erscheinen lassen oder deine Überzeugungen über die Reichweite menschlichen Potenzials erweitern.

Vielleicht ist es die Geschichte einer Reise. Einer Wanderung. Vielleicht beschreibst Du ein Kunstwerk. Oder ein Musikstück. Vielleicht ist es eine Heldinnen- oder Heldengeschichte. (Thomson, 2017).

Der "awe"-Spaziergang

Nimm Dir Zeit für einen Spaziergang und lenke Deine Aufmerksamkeit so, dass du offen bist für das, was um dich herum ist, für Dinge, die weitläufig, beeindruckend, komplex, unerwartet oder unerklärlich sind, oder die dich überraschen und erfreuen.

Gute Orte dafür können sein:  

- natürliche Umgebung (Park oder Garten, Berg oder Hügel mit Panoramablick, ein Weg, gesäumt von hohen Bäumen, das Ufer eines Ozeans, Sees, Flusses oder Wasserfalls – oder der Haustümpel, wie Marcus Schweighart anregt...), eine klare Nacht, in der du die Sterne sehen kannst, ein Ort, an dem Du den Sonnenuntergang oder Sonnenaufgang beobachten kannst...

- städtische Umgebungen wie die Spitze eines Wolkenkratzers, ein historisches Denkmal (unvergesslich für mich der "awe", den ich mit Frau und Kindern beim Besuch des verhüllten Arc de Triomphe erlebt habe – Danke auch Dir, Knut, dafür!), der Besuch in einem Teil deiner Stadt, den du noch nie erkundet hast, ein großes Stadion oder ein Sportplatz, botanische Gärten oder ein Zoo mit Pflanzen- und Tierarten, die du noch nie gesehen hast

- Innenräume (eine Bibliothek, ein Gebäude mit alten (Holz)treppen, eine Galerie oder ein Flur mit Kunst an den Wänden, ein Planetarium oder Aquarium, ein historisches Herrenhaus, eine Kathedrale oder ein Opernhaus, ein Museum, ein DGPP-Summit – oder eine andere Konferenz, bei der Wissen erlebbar gemacht wird)...

Meditation

Ich lade Dich ein zu einer zirka 10-minütigen Meditation über "awe", um das Gefühl für Dich erlebbar zu machen. (Hier kannst Du sie anhören, wenn Du magst.) Stelle Dein Handy  in den Flugmodus – oder, falls Du es ganz krass willst, schalte es aus.

Sie zu, dass Du bequem sitzt, vielleicht ist das auf dem Boden, vielleicht auf dem Stuhl. Sitze gewurzelt, etwas aufrechter, etwas weiter vorn als sonst, spüre eine gute Verbindung zu den Füßen am Boden, lege die Arme offen auf den Oberschenkeln ab – aber am besten so, wie es für dich gut passt.

Fokussiere die Augen auf einen Punkt, oder, wenn Du magst, schließe sie. 

Vielleicht kannst Du jetzt Deine Kiefer etwas weicher werden lassen.

Vielleicht kannst Du Deine Schulter etwas weicher werden lassen.

Vielleicht kannst Du Deinen Bauch weicher werden lassen.

 

Wie fühlt es sich gerade an, Geräusche wahrzunehmen, wie hörst Du gerade? technische Geräusche. Geräusche aus Deinem Körper. Geräusche von anderen Menschen – egal. Und wie wäre es, wenn Du das Geräusch einfach nur aufnimmst und wahrnimmst – und vorbeiziehen lässt? 

Lass auch Deine Gedanken vorbeiziehen wie Wolken am Himmel. Sie kommen, sie ziehen weiter. Und Du liegst im Park und schaust ihnen gelassen zu.

Dann betrachte Deinen Atem. Wie er einströmt, wie er ausströmt. 

Jetzt beginne, Dir eine Erinnerung oder ein Bild vorzustellen, das bei dir ein tiefes Gefühl von "awe" hervorruft, von Ehrfurcht.

Vielleicht eine atemberaubende Naturerfahrung in den Bergen, im Wald, am Meer oder neulich der rosa Nachthimmel mit den Polarlichtern. 

Vielleicht ist es ein kraftvolles Kunstwerk, ein Gemälde, ein Musikstück. 

Vielleicht eine Person, die Du bewunderst für ihre moralische Schönheit – jemand wie Mutter Theresa oder eine Freundin, die in der 6. Klasse aufgestanden ist für ein benachteiligtes Kind.

Irgend ein Moment des Staunens, des Wunderns, in dem du dich tief mit etwas Größerem als dir selbst verbunden fühltest. Während dieses Bild klarer wird, erlaube dir, vollständig darin einzutauchen. Spüre das Staunen und die Ehrfurcht, den "awe" – als ob du es gerade jetzt erlebst.

Vielleicht hat dieses Gefühl der Ehrfurcht, dieser "awe"-Moment in deinem Körper Resonanz gefunden: Welche Empfindungen treten auf? Vielleicht spürst Du noch andere Emotionen, die dieses Gefühl begleiten—Freude, Dankbarkeit oder ein Gefühl der Weite, eine Rührung – oder was es auch sein mag.

Lasse diese anfüllen von diesen Empfindungen und Emotionen und bade dich in diesem Gefühl der Ehrfurcht und des Staunens. 

Erweitere nun sanft dein Bewusstsein auf deine aktuelle Umgebung. Stelle Dir mit geschlossenen Augen den Raum um dich herum vor. Spüre, was Dich mit den anderen hier verbindet – oder mit anderen Menschen, die gerade nicht da sind. Menschen, mit denen Du zuletzt gesprochen hast. Denen Du zugehört hast. Die Du aus der Arbeit, aus Ausbildungen oder von irgendwoher kennst.

Vielleicht spürst Du da gerade eine Schönheit, eine Verbindung. Und vielleicht kannst Du diesen Moment von "awe" für Dich abspeichern. Und Dir zugänglich halten, im Alltag, auf Reisen; allein, mit anderen; in Deiner Arbeit und Zusammenarbeit mit anderen Menschen; in Deinem Privatleben.

Komme nun langsam zum Ende dieser Meditation und bringe deine Aufmerksamkeit zurück zu deinem Atem. Atme ein paar Mal tief ein und aus und spüre die Luft, die in deinen Körper eintritt und ihn wieder verlässt. Beginne, deine Finger und Zehen zu beugen und zu strecken und bringe sanft Bewegung in deinen Körper zurück.

Wenn du bereit bist, öffne langsam deine Augen und nehme dieses Gefühl der Ehrfurcht und des Staunens und von "awe" mit in den Rest deines Tages.

Ich bin sicher, er wird – zumindest in Momenten – awesome!

Danke!

LITERATUR

Bai, Y., Maruskin, L. A., Chen, S., Gordon, A. M., Stellar, J. E., McNeil, G. D., ... & Keltner, D. (2017). Awe, the diminished self, and collective engagement: Universals and cultural variations in the small self. Journal of personality and social psychology113(2), 185.

Campos, B., Shiota, M. N., Keltner, D., Gonzaga, G. C., & Goetz, J. L. (2013). What is shared, what is different? Core relational themes and expressive displays of eight positive emotions. Cognition & emotion27(1), 37-52.

Chen, S. K., & Mongrain, M. (2021). Awe and the interconnected self. The Journal of Positive Psychology16(6), 770-778.

Chirico, A., & Yaden, D. B. (2018). Awe: a self-transcendent and sometimes transformative emotion. The function of emotions: When and why emotions help us, 221-233.

Frumkin, Howard, et al. “Nature Contact and Human Health: A Research Agenda.” Environmental Health Perspectives 125, no. 7 (2017).

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Krohne, H. W., Egloff, B., Kohlmann, C. W., & Tausch, A. (1996). Untersuchungen mit einer deutschen version der" positive and negative affect schedule"(PANAS). Diagnostica-Gottingen-42, 139-156. 

Li, J. J., Dou, K., Wang, Y. J., & Nie, Y. G. (2019). Why awe promotes prosocial behaviors? The mediating effects of future time perspective and self-transcendence meaning of life. Frontiers in psychology10, 1140.

Lyubomirsky, S. (2011). Hedonic adaptation to positive and negative experiences. In S. Folkman (Ed.), The Oxford handbook of stress, health, and coping (pp. 200–224). Oxford University Press.

Maruskin, L. A., Thrash, T. M., & Elliot, A. J. (2012). The chills as a psychological construct: content universe, factor structure, affective composition, elicitors, trait antecedents, and consequences. Journal of personality and social psychology103(1), 135.

Piff, P. K., Dietze, P., Feinberg, M., Stancato, D. M., & Keltner, D. (2015). Awe, the small self, and prosocial behavior. Journal of personality and social psychology108(6), 883.

Prade, C., & Saroglou, V. (2016). Awe’s effects on generosity and helping. The Journal of Positive Psychology11(5), 522-530.

Rudd, M., Vohs, K. D., & Aaker, J. (2012). Awe expands people’s perception of time, alters decision making, and enhances well-being. Psychological Science, 23(10), 1130-1136.

Schindler, I., Hosoya, G., Menninghaus, W., Beermann, U., Wagner, V., Eid, M., & Scherer, K. R. (2017). Measuring aesthetic emotions: A review of the literature and a new assessment tool. PloS one12(6), e0178899.

Simon-Thomas, E. R., Keltner, D. J., Sauter, D., Sinicropi-Yao, L., & Abramson, A. (2009). The voice conveys specific emotions: evidence from vocal burst displays. Emotion9(6), 838.

Stellar, J. E., Gordon, A. M., Piff, P. K., Cordaro, D., Anderson, C. L., Bai, Y., ... & Keltner, D. (2017). Self-transcendent emotions and their social functions: Compassion, gratitude, and awe bind us to others through prosociality. Emotion Review9(3), 200-207.

Thomson, A. L., & Siegel, J. T. (2017). Elevation: A review of scholarship on a moral and other-praising emotion. The Journal of Positive Psychology, 12(6), 628–638.)

Yaden, D. B., Kaufman, S. B., Hyde, E., Chirico, A., Gaggioli, A., Zhang, J. W., & Keltner, D. (2019). The development of the Awe Experience Scale (AWE-S): A multifactorial measure for a complex emotion. The journal of positive psychology, 14(4), 474-488.

Yang, Y., Yang, Z., Bao, T., Liu, Y., & Passmore, H. A. (2016). Elicited awe decreases aggression. Journal of Pacific Rim Psychology10, e11.

Beim Jubiläums-Summit der Deutschen Gesellschaft für Positive Psychologie (DGPP) durfte ich am 1.6.2024 in Potsdam über "awe" sprechen. Dies ist das – leicht überarbeitete – Manuskript meines Beitrags.

Haufe: Positiv führen. Stärken erkennen und nutzen.

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Christian Thiele

ÜBER DEN AUTOR

Mehr Leistung, Freude, Gesundheit und Sinn, mit den Methoden der Positive Leadership: Darum geht es mir in meiner Arbeit als Coach, Trainer, Teamentwickler und Vortragsredner. Für Führungskräfte, Teams und Organisationen. Verliebt, verlobt und bald verheiratet mit Christiane. Vater. Skitourengeher.

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