Hier sind 7 Dinge, die Sie über Team-Flow wissen sollten
Was ist Team-Flow?
Flow war nochmal...? Genau, das Glückskonzept des unaussprechlichen Ungarn Mihalyi Czikszentmihalyi (gesprochen: Tschick-sänt-mi-hai). Flow erleben wir, wenn wir so in Tätigkeiten aufgehen, dass wir darüber Raum, Zeit, Hunger und uns selbst vergessen. Ein Moment optimaler Passung zwischen Person und Situation, wenn also Aufgaben von uns verlangt werden, die wir so bewältigen können, dass wir uns weder überfordert noch gelangweilt fühlen. Flow stellt sich ein, wenn wir in einer Route klettern, die nicht zu leicht und nicht zu schwierig ist. Wenn wir als CoderIn die aktuelle Softwareversion auf Bugs hin überprüfen und nach und nach einen Fehler nach dem anderen aus dem Code fischen. Wenn wir an einem anspruchsvollen Text schreiben und Schritt für Schritt weiterkommen. Wenn wir, kurzum: eine Sache um ihrer selbst tun, unabhängig von dem, was am Ende herauskommt. Und Team-Flow? Jef van den Hout, Musiker, Ruderer, Fußballer, vor allem aber Forscher und Coach aus den Niederlanden, hat zu Team-Flow promoviert. In seinem Buch “Team-Flow. The psychology of optimal collaboration” (Springer 2020) beschreibt van den Hout Team-Flow als “eine geteilte Flow-Erfahrung, die während der Ausführung gemeinsamer Tätigkeiten im Interesse des Teams erlebt wird und mit einer optimalen Team-Dynamik verbunden ist“ (eigene Übersetzung). Das Team im OP-Saal, in dem Pflegekräfte, Anästhesist und Chirurgin über die Berufsgruppen und Spezialisierungen hinweg ein gemeinsames Ziel haben und in einer Art medizinischem Ballett zur gemeinsamen Verbesserung des Patientenwohls miteinander verschmelzen: ein Paradebeispiel für Team-Flow.
Was bedeutet das neue „phygitale“ Normal für Team-Flow?
- Teams und deren Führende haben sich aktuell unter anderem mit folgenden Fragen auseinanderzusetzen:
- Wie wissen wir, wer gerade was tut?
- Wie können wir einander gegenseitig motivieren?
- Wie können wir durch Zuverlässigkeit, Offenheit und andere Facetten von Vertrauen stärken, auch wenn wir uns in digitalen oder hybriden Kontexten weniger sehen als früher gewohnt war?
- Wie erkennen wir Konflikte rechtzeitig und gehen konstruktiv mit ihnen um?
Der aktuelle Gallup-Report „State of the Workplace“ besagt, dass nur noch eine Minderheit der Beschäftigten dauerhaft ins Büro zurückkehren will, der Harvard Business Manager schreibt von „FORTO“ („fear of returning to the office“). Anders gewendet: Hybrides oder „phygitales“ Arbeiten zwischen digitaler und physischer Präsenz und flexible Möglichkeiten, das Wie und Wann und Wo von Arbeit individuell passend auszugestalten – all das bietet riesige Chancen, damit Einzelne ihre jeweils unterschiedlichen Bedürfnisse zwischen Arbeit, Familie und Freizeit besser unter einen Hut bringen und damit ein ausbalancierteres, zufriedeneres Leben führen können. Das macht das Wissen um Team-Flow noch wichtiger und hilfreicher
Was nützt individueller und kollektiver Flow?
Flow hebt die Motivation: Wer intrinsisch motiviert seine Arbeit verrichtet, also nicht nur für den nächsten Gehaltszettel oder das Eckbüro oder die Beförderung arbeitet, sondern aus Berufung, der wechselt seltener den Arbeitgeber, bringt sich mit mehr Energie in die Arbeit ein. Schüler, die häufiger Flow erleben, sind engagierter und erfolgreicher in der Schule, wer von regelmäßigen Flow-Erfahrungen berichtet, hat in der Regel einen höheren Selbstwert und erlebt sogar weniger Schmerzen und andere bessere körperliche Marker – das ist in etlichen wissenschaftlichen Studien nachgewiesen worden (eine Übersicht in Nakamura/Csikszentmihalyi 2002). In Projekt- und anderen Gruppen, bei denen er hohe Werte von Team-Flow messen konnte – ein selbstentwickelter Fragebogen war Teil seines Dissertationsprojektes –, diagnostiziert van Hout unter anderem:
- positivere Stimmung
- bessere Performance
- stärkeres Gefühl von Selbstwirksamkeit
- mehr und bessere Ideen
Es lohnt sich also, in Team-Flow zu investieren.
Was braucht es für Team-Flow?
Damit es im Team flutscht, damit sich ein wirkliches Gefühl von Gemeinschaft, von Vertrauen und gemeinsamem Fortschritt einstellt, braucht es unterschiedliche Voraussetzungen:
- Gemeinsame Mission: Gut funktionierende Teams haben klare, gemeinsame, herausfordernde Ziele, die sie miteinander verfolgen
- Individuelle Ziele: Idealerweise gehen die Erwartungen und Wünsche, die Einzelne an die Zusammenarbeit haben, in den kollektiven Zielen auf. Das passiert in der Regel nicht von alleine, sondern braucht viel (Selbst-)Klärung, Kommunikation und Austausch.
- Hohe Integration von Fertigkeiten: In erfolgreichen Gruppen sind Stärken und Kompetenzen so verteilt, dass sie einander ergänzen – die Genaue weiß um den Wert ihrer Präzision, der Kreativitling kennt den Nutzen seines Ideenreichtums für die anderen Teammitglieder und so weiter.
- Offene Kommunikation: Gut eingespielte Teams haben ihre eigene Sprache, ihren „Abteilungssprech“ – interne Jokes, die niemand von außen versteht, Abkürzungen, die sonst keiner kennt. Das funktioniert natürlich nur, wenn sowohl Einzelnen, Grüppchen als auch das Team insgesamt immer wieder miteinander im Austausch sind, on- wie offline, formeller, wenn es um Zahlen, Daten, Ergebnisse geht, und persönlich, wenn es um die Kinderbetreuung, den Urlaub oder Kochrezepte geht
- Sicherheit: Mit einer großangelegten Studie wollte Google vor einigen Jahren[https://www.nytimes.com/2016/02/28/magazine/what-google-learned-from-its-quest-to-build-the-perfect-team.html] dem Geheimnis erfolgreicher Teams im eigenen Unternehmen auf die Schliche kommen. Das Ergebnis: es kam nicht auf die höchsten IQ-Werte, ein bestimmtes Verhältnis zwischen Männern und Frauen oder andere Dinge an – sondern es kam auf die psychologische Sicherheit an. Also ein Klima, in dem Dinge gewagt werden dürfen; in dem zu Zweifel und Widerspruch ermutigt wird; in dem aus Fehlern gelernt werden darf.
- gegenseitige Verbindlichkeit: Ich habe – als schlechtester Mitspieler – in einer recht erfolgreichen Schul-Volleyballmannschaft gespielt. Punkte im Volleyball, hat uns unser Coach eingeschärft, sind immer Team-Erfolge. Und jeder Fehler ist ein kollektiver Fehler – der Aufschlag war nicht hart genug, dann stand der Block nicht da, wo er hätte stehen sollen, der Steller hat nicht schnell genug den Blick für die Verteidiger frei gemacht und und und. In erfolgreichen Arbeitsteams ist es genauso: Die Mitglieder fühlen sich gegenseitig und miteinander verantwortlich für Fortschritt und Erfolg.
Was denken Sie, welche dieser Voraussetzungen sind in Ihrer Abteilung, in Ihrem Team erfüllt? Welche eher weniger? Was wäre ein realistischer erster Schritt in Richtung Verbesserung?
Wie Team-Flow fördern und stärken?
Es gibt eine ganze Menge an Dingen, die Führende für ein besseres Miteinander ausprobieren, vorschlagen und selbst tun können, gerade in hybriden Arbeitskontexten. Hier einige Impulse:
- Virtuelle Wir-ologie: Gin-Tastings, Escape-Rooms, Kuchenback-Challenges sind nur einige der Beispiele für die Kreatitivät, mit der viele Teams in den Lockdowns der Corona-Pandemie die Zwangsdigitalisierung bewältigt und informelles Miteinander geschaffen haben. Zoom-Breakouts, Mentimeter-Abfragen, gemeinsame Mural-Wände, geteilte Google-Dokumente oder andere kollaborative Tools machen die Zusammenarbeit an sich produktiver.
- Premium-Präsenz heißt, dass Teams aus jenen Momenten, in denen sie physisch zusammenkommen, etwas anderes und besseres machen, als einfach nur nebeinanderherzuarbeiten in Einzelbüros. Dafür lohnt der Weg durch den Stau nicht mehr. Umso besser, wenn in den eigenen oder angemieteten Räumen das Mobiliar, die Einrichtung sowie die technische Ausstattung zu unterschiedlichen Formen des Miteinanders einladen: für die Teilnahme Einzelner an Telefon- oder Videokonferenzen, für das intime Zweier- oder Dreiergespräch, für die Brainstorming-Runde in großer Gruppe.
- Zu einem produktiven Umgang mit Konflikten gehört unter anderem eine gewisse Grundlässigkeit: Da wo Menschen zusammenkommen, und vor allem da, wo es zu dauerhaften und tiefgreifenden Veränderungen ihres Zusammenseins kommt, da kommt es auch zu Missverständnissen, Enttäuschungen, Reibereien. Differenzen dauerhaft unter den Teppich kehren zu wollen funktioniert genauso wenig wie wenn per CC-Mail an alle Konflikte auf maximale Eskalation geschaltet werden. Gute Führungskräfte wissen, auch, wo Mitarbeiter Konflikte untereinander selbst lösen können und müssen; wo sie selbst eingreifen müssen; und wo die Grenzen ihrer Vermittlungskraft liegen und sie Unterstützung von oben (eigeneR VorgesetzteR) oder außen (Coach, MediatorIn) brauchen.
- Damit Erfolg und Fortschritt sichtbarer werden, braucht es einen Fokus auf ebendiese und nicht nur auf Mängel und Defizite. Klar formulierte und kommunizierte, anspruchsvolle Ziele machen allen Beteiligten die Marschroute und die Meilensteine auf dem Weg dorthin klar. Und wenn Dinge gut laufen, sollten Sie diese genauso gründlich analysieren wie Pleiten und Pannen – denn nur, wenn wir seine Voraussetzungen verstehen, ist Erfolg wiederhol- und planbar und bleibt kein Zufallsprodukt.
Wie lässt sich Team-Flow messen und überprüfen?
„Ohne Daten keine Taten“ oder „Miss es – oder vergiss es“: In vielen Organisationen gibt es eine ausgeprägte Zahlenkultur. Gerade in solchen Kulturen kann es sinnvoll sein, die Zufriedenheit im und mit dem Team zu messen. Mit regelmäßigen Puls-Messungen, die auch informell und knapp gehalten sein können oder etwa mit dem Team Flow-Monitor (https://pure.tue.nl/ws/portalfiles/portal/134967717/23311908.2019.1643962.pdf ) , den Jef van den Hout, an über 80 Teams mit insgesamt 433 Fragebögen validiert entwickelt und validiert hat. Nach meinen Erfahrungen ist bei derartigen Messungen Folgendes zu beachten:
- Knackig schlägt komplex, denn selbst ein ausgefeilter Fragebogen nützt wenig, wenn ihn vor lauter Ausgefeiltheit niemand komplett ausfüllen mag.
- Erst mehrfache Messungen machen Veränderung und Verbesserung sichtbar.
- Die absoluten Werte sind dabei, vor allem wenn man keine wissenschaftliche Forschung betreibt, weniger wichtig als die Tendenzen und die Richtung.
- Werte brauchen Bewertung: Daten und Testergebnisse können gute Türöffner sein für ein Stück ehrlichere, differenziertere Kommunikation – wenn der Raum für Austausch und Diskussion auch geschaffen wird.
- Daten brauchen Taten: Messen um des Messen willens schafft nur Zeit- und Energieaufwand. Wenn aus den Ergebnissen einer Befragung keine Konsequenzen folgen, ist eine Konsequenz fast zwangsläufig: Frust, Zynismus, Sarkasmus.
Wann wäre Team-Flow falsch, zuviel, gefährlich?
Viel hilft viel, mehr ist immer besser? Nicht zwangsläufig, das gilt es für viele Übungen und Konzepte der positiven Psychologie zu beachten. Optimismus und Zuversicht etwa steigern die Leistungsfähigkeit, machen es wahrscheinlicher, dass Ziele erreicht werden, stärken die Resilienz – und können im Übermaß zu voreiligen und riskanten Entscheidungen führen. So ist es auch im Team-Flow: Er kann überdosiert oder fehl am Platze sein. Die Konstanzer Psychologin Prof. Dr. Julia Schüler gehört zu den wenigen ForscherInnen, die sich mit den möglichen Negativ-Folgen von Flow beschäftigt haben (Schüler, J, 2012: The Dark Side of the Moon.) Wenn es sehr flutscht in Gruppen, kann es dazu kommen, dass die Werte und Ziele anderer (Gruppen) aus dem eigenen Bewusstsein rutschen. Im Sinne einer „Abhängigkeit“ kann individuelles oder kollektives Flow-Gefühl dazu führen, dass die Flow-Dosis mit der Zeit immer höher sein muss, damit sich die gewünschten Zustände überhaupt noch einstellen – die Toleranz für Kundenanfragen, IT-Hemmnisse und andere mehr oder weniger alltägliche Flow-Bremsen könnte sinken. Auch könnten längerfristige Ziele aus dem Fokus geraten, wenn der momentane Flow-Zustand die Hauptmaxime ist.
All dies sollten Sie und Ihr Arbeits-Team beachten, wenn Sie auf dem Weg hin zu optimaler Kooperation schon so weit gekommen sind, dass die Gefahren einer möglichen Überdosierung drohen. Sowas nennt man ein Luxus-Problem, oder? Glückwunsch, wenn Sie sich damit zu befassen haben – dann ist schon mal einiges richtig gelaufen in Ihrem Team!
Euer und Ihr
Christian Thiele
P.S.: Ihr macht/Sie machen das gut!
Über mich:
Ich versuche, mehr Glück in die Arbeit zu bringen – mit Seminaren, Coachings, Workshops, Keynotes zu positiver Führung. Für Führende, Teams, Organisationen. Evidenzbasiert und wissenschaftlich fundiert, auf der Haltung und den Erkenntnissen der Positiven Psychologie gegründet – und gleichzeitig ganz praxisorientiert und hands-on.
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