Was ist, bleibt, wird wichtig für Führungskräfte im neuen Jahr? Ich habe mal die Kristallkugel entstaubt und hineingeschaut. Hier acht Thesen, Vermutungen, Behauptungen, Prognosen:
1. Gesund sein und bleiben
Eine größere Deloitte-Studie – 2100 Beteiligte aus den USA, UK, Kanada und Australien – hat vor kurzem ergeben: Über zwei Drittel der befragten C-Level-Leaders erwägen, um ihrer Gesundheit willen zu kündigen (https://www2.deloitte.com/us/en/insights/topics/leadership/employee-wellness-in-the-corporate-workplace.html). Weil sie gestresst und überwältigt sind, das wäre die Negativ-Perspektive. Weil ihnen ihr eigenes Wohlbefinden wichtiger und bewusster geworden ist, so könnte man’s positiv betrachten. In der gleichen Untersuchung wird allerdings auch deutlich: Führungskräfte unterschätzen offenbar signifikant, wie angeschlagen die körperliche, mentale, soziale und finanzielle Lage ihrer Beschäftigten ist. „The person you report to is more important than your family doctor“, hat Bob Chapman mal geschrieben. Ich denke, da ist was dran. Auch und gerade 2023.
2. Leute finden und binden
Mit aktuell schon rund zwei Millionen offenen Stellen und einer massiven Verrentungswelle in den nächsten Jahren steuern wir weiter auf eine Fachkräftenot zu, die alles übersteigt, was wir in den sechziger, siebziger Jahren des letzten Jahrhunderts erlebt haben. Wer soll dann helfen, die Produkte und Dienstleistungen nachhaltiger zu gestalten, wer richtet neue, stabile Lieferketten ein, wer pflegt unsere Alten und Kranken, wer hilft uns, den Herausforderungen von KI etc. zu begegnen? DIW-Chef Marcel Fratscher schreibt dazu (https://www.spiegel.de/wirtschaft/fachkraeftemangel-deutschland-braucht-zuwanderer-dringender-als-umgekehrt-a-7c741c47-67c6-45f5-8ad3-fd3e74faf8fc): „Es geht hier nicht nur um verpasste Chancen, sondern um die Existenz zahlreicher deutscher und europäischer Unternehmen und die Frage, ob wir die heute noch verbleibende Chance nutzen werden, um unsere Klimaschutzziele zu erreichen, unsere Abhängigkeit von China und anderen Autokratien zu reduzieren und wirkliche Innovation möglich zu machen.“ Gute Leute finden und halten, sich um die schwierigen Fälle kümmern, die möglicherweise die anderen demotivieren und überlasten (https://positiv-fuehren.com/positive-leadership/als-fuehrungskraft-mit-energie-vampiren-umgehen/): eine Kernaufgabe guter Führung.
3. Krisenfestigkeit nutzen
Wie sich die (Energie-)Preise entwickeln? Was Covid mit China und damit auch mit der Weltwirtschaft macht? Wann, wie und ob Russland den Ukraine-Krieg beendet? Wie stark die Wirtschaft in den USA und in Europa schrumpft? Weiß keiner. Gewiss bleibt nur die Ungewissheit, die wird 2023 weitergehen. Vermute ich mal schwer.
Ich bemerke, dass Führung die Chancen in dieser Perma-Krise häufig zu übersehen droht: Was haben Einzelne, Teams und Organisationen in den letzten drei Jahren nicht alles an Disruption gemeistert? Neue Wege zu arbeiten, zu kommunizieren, neue Lieferketten, neue Geschäftsmodelle – diese Veränderungen, oft massiv und meist über Nacht, haben uns alle (ein bisschen) schneller im Kopf gemacht, beweglicher, resilienter im Umgang mit Krisen. Zuversicht als Zukunftsressource!
4. Nachhaltiger wirtschaften und führen
Der südliche Schneeferner im Zugspitzmassiv vor meiner Haustüre wird seit diesem Sommer von der Gletscherforschung nicht mehr als Gletscher gezählt – geschmolzen. Die Hitzewellen in Europa, die Flutkatastrophe in Pakistan: Auch 2022 ist die Klimakatastrophe vorangeschritten, neue Hitzerekorde überall, laut Nasa ist die Erde jetzt 1,01 Grad wärmer als zu Beginn der Industrialisierung (https://climate.nasa.gov). In Reaktion auf den russischen Energie-Krieg haben auch die grünsten der Grünen Kohlekraftwerke neu angeheizt und Gas in aller Welt geordert – einerseits. Andererseits liegt genau in dieser doppelten Herausforderung aus Ressourcenmangel und Überhitzung eine Riesen-Chance für postfossiles Wirtschaften. Das sagt auch die nicht unbedingt für umstürzlerisches Gedankengut berühmte Internationale Energie-Organisation (https://www.economist.com/by-invitation/2022/11/05/the-global-energy-crisis-may-be-accelerating-decarbonisation-efforts-says-fatih-birol). Führungskräfte, die nachhaltige Innovationen vorantreiben,
- sparen Energie- und andere Ressourcen
- machen ihre Organisation attraktiver für BewerberInnen
- fördern die eigene Wettbewerbsfähigkeit
- stärken die Firma gegenüber Kundschaft, Investorinnen, Lieferanten etc.
5. Jenseits von Thomas und Thorsten
Sind die Firmen schon so divers aufgestellt, vor allem an der Spitze, wie sie es sein müssten und sollten? Nein.
Werden die Organisationen mit der Zeit bunter, wird häufiger auch ChefIn, wer nicht heterosexueller biodeutscher Mann aus der Mittelschicht mit Mitte 40 ist? Mein Eindruck ist: ja.
Immer mehr Organisationen verstehen, dass sie sich bewusst um Diversität in allen Richtungen bemühen müssen. Um
- gesetzliche Vorgaben zu erfüllen,
- Talente anzuziehen und zu halten,
- die Bedürfnisse diverserer Kundinnen- und Nutzerschaft besser zu bedienen.
Je größer die Organisation, desto häufige sind die entsprechenden Programme und Erklärungen bereits vorhanden. Sie wirklich ins Leben und in den Alltag zu bringen – das wird mehr und mehr der Job von Führungs- und Personalfachkräften.
6. Bye-bye „Von acht bis vier: alle hier“
Remoteres Arbeiten ist effizient, lässt einen noch mal eben die Kinder zum Arzt bringen, spart Pendlerstress und senkt die Bürokosten. In den meisten Branchen wird es kein Zurück zu 2019 geben. Arbeitnehmende, Führungskräfte, Energiekosten, Investoren etc. werden sicherstellen, dass der Weg zu einem ein virtuelleren, hybrideren Miteinander weitergehen wird. Führungskräfte werden dann noch weniger Zeit dafür haben, operatives Tagestätigkeiten zu übernehmen, die ihre Mitarbeitenden erledigen könnten und sollten. Sie müssen noch mehr Zeit und Energie in die Kohäsion von (nach meiner Beobachtung größer gewordenen) Teams investieren, mit One-on-Ones, guten Meeting-Formaten, Team-Workshops und regelmäßigen Präsenz-Veranstaltungen, die wirklich rocken und das Miteinander fördern.
Wird es auch 2023 die Führungskraft geben, die alle von acht bis vier antanzen lässt, in Präsenz, von Montag bis Freitag, in Vollzeit, damit sie alles schön kontrollieren kann? Na logo.
Nur wird sie einsamer werden, schlechter bewertet, weniger erfolgreich, gestresster – und seltener.
7. Finanzielle Fairness Fördern
Spätestens bei den Weihnachtseinkäufen dürften alle gemerkt haben, wie viel teurer alles geworden ist. Wer Mitte des Jahres noch das gleiche Gehalt oder Honorar wie 2022 erhält, hat real rund 15 % weniger Geld in der Tasche - je nachdem, wie sich die Inflation weiter entwickelt.
Organisationen, die keine faire Erhöhung der Löhne und Honorare vornehmen wollen oder können, werden
- an Attraktivität verlieren,
- die Unzufriedenheit und den finanziellen Stress ihrer Beschäftigten erhöhen,
- die Führungskräfte zu Prügelknaben machen, denn häufig werden sie für unzureichende und unfaire Bezahlung verantwortlich gemacht, unabhängig vom tatsächlichen Einfluss.
8. Führen im Jumanji-Dschungel
Ich bin alles andere als ein Experte für Metaverse, virtuelle und gemischte Realität und all die anderen hippen Konzepte, die da gerade im Anmarsch sind (https://www.economist.com/the-world-ahead/2022/11/14/23-items-of-vital-vocabulary-youll-need-to-know-in-2023). Aber ich war heuer zum ersten Mal auf der Gamescom in Köln, mit unserem Sohn Theo, und habe erstmals mit 3 D-Brille ein paar Minigolf-Bälle eingelocht. Und wenn ich das richtig verstanden habe, kommt 2023 auch Apple mit einer virtuellen Brille auf den Markt – und damit werden die physische und die virtuelle Umwelt noch stärker miteinander verschmelzen, in und jenseits der Arbeit. Mehr und mehr CEOs werden als Hologramme Reden halten, mehr und mehr Beschäftigte werden mit ihren KollegInnen als Avatare zusammenarbeiten. Die Arbeitswelt wird ein bisschen wie das Mit-, Neben- und Durcheinander von echtem Haus und virtuellem Dschungel, von physischer und digitaler Welt in „Jumanji“, einem der letzten Filme mit Robin Williams. Manche Führungskräfte in manchen Organisationen werden in diese neue Welt vorangehen, einige werden bremsen – die meisten werden abwarten. Aber ich glaube, die bewältigten Umbrüche und Umwälzungen der letzten Jahre können Führenden auch hier nützlich sein, um die Chancen eines digitaleren Miteinanders hebeln und die Herausforderungen bewältigen zu können. Auch hier bleibt Zuversicht eine Zukunftsressource.
So, das waren meine Thesen. Was sind Deine, Eure Prioritäten als Führungskraft 2023? Ich bin gespannt auf Rückmeldung! Guten Start weiterhin in ein gesundes, glückliches, gelingendes neues Jahr!
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Über mich:
Ich will mehr Gelingen und Glück in die Arbeit bringen – mit Seminaren, Coachings, Workshops, Keynotes zu positiver Führung. Für Führende, Teams, Organisationen. Wissenschaftlich fundiert und umsetzungsorientiert, auf Grundlage der Erkenntnisse und Tools von Positiver Leadership und Psychologie. Wem der Artikel gefallen hat und mehr von/über mich wissen mag: Mich gibt’s auf Xing, LinkedIn, auf meiner Website – und in meinem Podcast "Positiv Führen", alles unter www.positiv-fuehren.com. Wer Fragen/Interesse hat: gern melden!
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