Psychologische Sicherheit und Lernkultur fördern als Führungskraft

CHRISTIAN THIELE

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Wenn Du einmal ehrlich über die letzten Wochen im Job nachdenkst:

  • Was ist Dir misslungen? 
  • Was hast Du nicht erreicht, verpatzt oder falsch gemacht?
  • Was haben Deine Mitarbeitenden nicht erreicht, verpatzt oder falsch gemacht?
  • Und wie gehst Du, wie gehen Deine Vorgesetzten, Deine Mitarbeitenden damit um, mit Fehlern, mit Fehleinschätzungen, mit Miss- oder Noch-nicht-Erfolgen?
  • Sind Fehler für Dich und Dein Umfeld strikt zu vermeiden – oder könnten sie auch Lernchancen bieten?*

Die Art und Weise, wie eine Organisation oder ein System mit Fehlern, den Risiken sowie den Folgen von Fehlern umgeht, definiert die Fehlerkultur, folgt man einer weit verbreiteten Definition. Doch vielleicht ist bereits das Sprechen von „Fehlerkultur“ ein Fehler, ein kultureller Fauxpas, sozusagen. Ist eine effektive, förderliche Lernkultur eine, in der Fehler um jeden Preis vermieden, sanktioniert und als schädlich betrachtet werden? Oder bedeutet eine positive Fehlerkultur eher, dass man Fehler managen oder minimieren, aus ihnen lernen möchte und dabei eher nach der Ursache als nach Schuldigen sucht? Was hier als Herausforderung oder Experiment angesehen wird und somit grundsätzlich lobenswert ist, wird anderswo als verwerfliche Unachtsamkeit, Unfähigkeit oder gar Sabotage betrachtet.


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Gruppen- oder Zeitdruck, der Fokus auf individuelles Versagen (Beschuldigen oder Vertuschen, Herunterspielen zur Vermeidung von Konsequenzen) statt auf systemische Analyse, der Mangel an Instrumenten zur (Selbst-)Reflexion, aber auch ein unzureichendes Bewusstsein für Fehler: all dies kann Ursache, Verstärker sowie Ergebnis einer dysfunktionalen Fehlerkultur sein. Wie relevant das sein kann – siehe Boeing:


Erst die fatalen Abstürze zweier 737 Max-Maschinen 2018 und 2019 in Indonesien und Äthiopien mit 346 Toten. Dieses Jahr der – glimpflich verlaufene – Verlust einer Tür aufgrund fehlender Sicherungsbolzen. Und all das, so vor einiger Zeit ein hochrangiger Ingenieur der Firma, aber auch aus aktueller Sicht der amerikanischen Flugsicherheitsbehörde, weil vor allem eines fehlt bei Boeing: Eine Kultur der psychologischen Sicherheit, ein Klima, in dem die Mitarbeitenden melden hätten können: Das klappt nicht, das schaffen wir so nicht, das haut mit diesem Budget, mit dieser Personalkapazität nicht hin.


Die Harvard-Forscherin Amy Edmondson schreibt in ihrem neuen Buch „The Right Kind of Wrong“, dass unter Bedingungen wachsender Ungewissheit Fehler letztlich immer unvermeidlicher werden. Und je mehr in einer Organisation nur von Fortschritt, guten Nachrichten und Konsens die Rede ist, statt von Problemen, Dissens und dem Wunsch nach Hilfe und Unterstützung, desto negativer dürfte die Kulturdiagnose ausfallen.


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Wer in einem psychologisch sicheren Umfeld arbeitet, weiß, dass Fragen geschätzt, Ideen willkommen und Fehler sowie Misserfolge besprechbar sind. In solchen Umgebungen können sich die Menschen auf die Arbeit konzentrieren, ohne sich darüber Sorgen zu machen, was andere von ihnen denken könnten. Sie wissen, dass ein Fehler nicht das Ende ihrer Reputation bedeutet.

Edmondson, Amy C.. Right Kind of Wrong: The Science of Failing Well (2023) (S.15). Atria Books.

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Natürlich erfordert etwa eine neue Operationsmethode in der Gehirnchirurgie oder der Bau eines neuen Atomreaktors eher sorgfältige Ausführung und bestenfalls behutsames, methodisches Experimentieren als das freimütige Stümpern, das etwa beim Programmieren eines neuen Computerspiels vorkommen mag – um ein Beispiel zu nennen. Was auf dem Spiel steht, beeinflusst die Lern- oder Fehlerkultur maßgeblich.


Gleichzeitig sind auch die Friedhöfe voll mit Menschen, die durch Fehler gestorben sind, die eigentlich hätten vermieden werden müssen – und dennoch passiert sind. Deshalb sind gerade in Hochrisikobereichen Fragen nach den Ursachen von Fehlern, möglichen Verbesserungsansätzen und ein ehrliches Verständnis sowie Akzeptieren möglicher eigener Verantwortlichkeiten bei (großen und kleinen) Fehlern wichtig. Auch Standards („So machen wir das hier genau!“) müssen immer wieder entwickelt, überarbeitet, kommuniziert werden – und infrage gestellt.


Das Ausmaß an psychologischer Sicherheit lässt sich übrigens erheben – mit Fragebögen wie der von Amy Edmondson entwickelten und getesteten "Psychological Safety Scale" (Edmondson, A. (1999). Psychological safety and learning behavior in work teams. Administrative science quarterly, 44(2), 350-383.Sie enthält Fragen wie etwa (von mir übersetzt, nicht wissenschaftlich validiert):

Mitglieder dieses Teams können Probleme und schwierige Themen ansprechen.

Es ist nicht schwierig, andere Teammitglieder um Hilfe zu bitten.

Wenn ich mit Mitgliedern dieses Teams zusammenarbeite, werden meine Fähigkeiten und Talente geschätzt und genutzt.


Chefinnen und Chefs sollten sich übrigens im Klaren darüber sein, dass sie – je weiter oben sie in der Hierachie stehen – die Fehler- und Lernkultur systematisch positiver einzuschätzen scheinen als die Mitarbeitenden weiter unten, das legen Studienergebnisse nahe (Nembhard, I. M., & Edmondson, A. C. (2006). Making it safe: The effects of leader inclusiveness and professional status on psychological safety and improvement efforts in health care teams. Journal of Organizational Behavior: The International Journal of Industrial, Occupational and Organizational Psychology and Behavior, 27(7), 941-966.)


❓ Wie sorgst Du dafür, dass in Deinem Verantwortungsbereich ein offenes, ehrliches Klima herrscht, in dem Zweifel, Bedenken und eben auch Fehlleistungen geäußert werden können, ohne dass Menschen um ihre Karriere fürchten müssen?


Wenn Du als Führungskraft psychologische Sicherheit für Dich und Dein Team besser kennenlernen und erlernen willst – melde Dich zu meinem nächsten offenen Positive Leadership-Seminar am  28./29.11.2024 nahe München an. Jetzt noch zum Super-Early-Bird-Tarif:

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Karolin Helbig und Minette Norman schlagen dazu in ihrem tollen Buch "The Psychological Safety Playbook"  – kommt bald auch auf deutsch als heraus – 5 Strategien, Rezepte, Spiele vor, um psychologische Sicherheit zu fördern:

- mutiges Kommunizieren statt perfekter Maske

- zuhören und nachfragen statt immer nur zu senden

- die eigenen Reaktionen produktiv handhaben statt aus den blinden Flecken oder der Verteidigung heraus agieren

- Risiko und Scheitern normalisieren statt Schuld zuzuweisen

- durch Meetings und andere Gelegenheiten inklusive Rituale schaffen statt Platzhirsch-Verhalten zu dulden oder gar zu fördern


Je mehr Du diese Spiele spielst, desto größer sind die Chancen für psychologische Sicherheit. Und umso besser stehen die Chancen für eine gute Fehler- oder, besser gesagt, Lernkultur.


Guten Start in eine gelingende, gaudi-hafte, gesunde Woche!

*eine kürzere Variante dieses Textes ist neulich in meiner Leadership-Kolumne "Konstruktiv Positiv" in der Personalwirtschaft erschienen.



Christian Thiele
P.S.: Ihr macht, Sie machen das gut!

Haufe: Positiv führen. Stärken erkennen und nutzen.

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Christian Thiele

ÜBER DEN AUTOR

Mehr Leistung, Freude, Gesundheit und Sinn, mit den Methoden der Positive Leadership: Darum geht es mir in meiner Arbeit als Coach, Trainer, Teamentwickler und Vortragsredner. Für Führungskräfte, Teams und Organisationen. Verliebt, verlobt und bald verheiratet mit Christiane. Vater. Skitourengeher.

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