Positive Leadership: Interview mit Kim Cameron

CHRISTIAN THIELE

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Mein Interview mit Kim Cameron in Personalwirtschaft 11/2017

Sie stehen für das Konzept der positiven Leadership. Was heißt das genau, muss ich als Führungskraft denn immer lächeln, nett sein, die rosarote Brille aufhaben?
Das ist eine gute Frage! Und das ist genau der Einwand, den ich immer als erstes höre, wenn ich Menschen von der positiven Leadership erzähle.

Und was ist Ihre Antwort drauf?
Ein klares Nein! Erstens: Wenn ich also in eine Firma gehe und der Chef sagt mir: „Ich habe wichtigeres zu tun, als mich um Dankbarkeit, positive Energienetzwerke und diese ganzen anderen Dinge zu kümmern, die mit positive Leadership zu tun haben“, dann kann ich entgegnen: „Wenn Sie mit einigen Verhaltensweisen positive Leadership einführen und verbreitern, dann wird sich der Umsatz in Ihrem Unternehmen, die Produktivität, die Rentabilität, die Qualität ihrer Produkte, die Kundenzufriedenheit und vieles mehr verbessern.“ Wir haben, zweitens, ziemlich viele, ziemlich harte Zahlen zu etwas, dass ich Positivitätsverhältnis nennen würde.

Was ist damit gemeint?
Ich selber war an Studien beteiligt, die Führungskräfteteams untersucht haben und dabei zu dem Ergebnis kamen, dass fünf positive Äußerungen pro kritische oder negative Äußerung, also fünfmal so viel Unterstützung, Wertschätzung, Lob etc. wie Kritik, Benennung von Fehlern, Korrektur und so weiter die verschiedensten Erfolgsparameter eines solchen Teams optimal beeinflussen. Wenn Sie bei Ehepaaren die Positivitätsrate bei Gesprächen über für das Paar kritische Themen untersuchenm, können Sie anhand dieser Rate zu 95 Prozent vorhersagen, ob es fünf Jahre später noch zusammen ist oder nicht. Die optimale Positivitätsrate liegt auch hier bei fünf zu eins.

Kritik darf und muss also sein!
Ja, diese Rate ist nicht fünf zu null oder zwanzig zu null, sondern fünf zu eins. Sie müssen also Dinge benennen können, die nicht gut laufen. Kritik üben. Es geht nur um das Wie. Es gibt dieses alte arabische Sprichwort: Zu viel Sonne schafft Wüste. Und so ist das in allen sozialen Zusammenhängen: Zu viel Sonne, zu viel Lob trocknet die Dinge aus. Pflanzen, die permanentem Sonnenschein ausgesetzt sind, wachsen langsamer als Pflanzen, die Licht und Schatten erhalten. Menschen, Pflanzen und soziale Institutionen welken gleichermaßen, wenn sie nur Sonne erfahren.

Was heißt das nun genau für Führungskräfte?
Damit meine ich, dass die meisten von uns darauf konditioniert sind, Probleme zu sehen, Gefahren zu wettern, Fehler zu erkennen und zu optimieren. Das soll auch so sein. Wenn ich nach einer Woche Dienstreise oder Urlaub ins Büro zurückkomme, stapeln sich die Fragen und Probleme und ich gehe sie an. Das ist die natürliche Tendenz einer Führungskraft, aber auch einer gesamten Organisation. Wer keine Probleme hat, braucht keinen Manager und keine Führungskraft. Wir haben aber empirisch nachweisen können: Wenn Sie den Fokus auf das Positive legen, und zwar eben nicht ausschließlich sondern überwiegend, wenn Sie also nicht von heute auf morgen das Diskutieren von Problemen verbieten, aber wenn sie eben die Aufmerksamkeit auf positive Praktiken richten, auf das Ausbauen dessen, was gut läuft, was funktioniert –dann verbessert sich die Performance in ihrem Team, ihrer Organisation enorm. Und zwar deutlich mehr als mit herkömmlichen Führungsmethoden. Positive Leadership heißt also definitiv nicht, laufend mit einem Grinsen unterwegs zu sein, über alles hinweg zu sehen.

Kann ich die Gedanken und Methoden der positiven Leadership auch in einem Schnellrestaurant oder am Montageband einführen, oder ist das nur ein Konzept für gut ausgebildete, hochqualifizierte Berufe?
Ja, diese Methoden funktionieren bei jedem! Wir haben zum Beispiel Fernfahrer untersucht, die meisten von ihnen ohne Highschool-Abschluss, und haben dort einen dramatische Verbesserung verschiedenster Parameter messen können, wenn ihre Vorgesetzten Praktiken der positiven Leadership einsetzen. Der Grund dafür: der heliotropische Effekt.

Was ist damit gemeint?
Der Begriff kommt aus dem griechischen, von Helios, Licht. Er bedeutet, dass sich jeder biologische und soziale Organismus hin zum Licht und weg von der Dunkelheit, vom Schatten bewegt. Wenn Sie eine Pflanze ans Fenster stellen, wird sie bald sich nach dem Licht wenden. Die Sonne ist in der Natur die lebensspendende Kraft, und jeder Organismus hat die Tendenz, sich nach ihr auszurichten. Das bedeutet, dass jedes System danach strebt, seine Ressourcen zu mehren und wegstrebt von dem, was Leben beendet, verkürzt, beeinträchtigt. Das macht auch aus evolutionärer Sicht Sinn.

Und auf Menschen, Teams, Organisationen übertragen heißt das …
Eben genau, dass sowohl Individuen als auch Gruppen und Organisationen stets bei der Zufuhr von positiver Energie blühen und wachsen – und bei negativem Einfluss schrumpfen, zurückgehen, leiden. Und das macht keinen Unterschied, ob sie Grundschüler sind oder Doktorand, ob sie am Fließband stehen oder CEO eines multinationalen Konzerns sind – jeder Mensch hat die Tendenz zur positiven Energie.

Können Sie da ein Beispiel nennen?
Besonders viele Studien erscheinen derzeit dazu, wie Schulkinder aufblühen, wenn sie positiver Leadership ausgesetzt sind. Eine herausragende Doktorarbeit hat vor wenigen Jahren Schüler aus drei verschiedenen Ländern untersucht: In Bhutan, in Mexiko und in Peru wurden ingesamt rund 800.000 Schüler einem Curriculum an positiven Praktiken und Methoden ausgesetzt, parrallel dazu wurde eine Kontrollgruppe untersucht. Nach 18 Monaten wurden unter anderem festgestellt, dass das Wohlbefinden der untersuchten Personen in verschiedenen Dimensionen viel besser war. Aber auch die akademische Leistung, gemessen an standardisierten Testverfahren, war signifikant höher. Der heliotropische Effekt lässt Menschen in einer positiven, wertschätzenden Atmosphäre aufblühen.

Wenn ich nun als Führungskraft in einem Team oder Unternehmen positive Leadership einführen will, was wären zwei oder drei Techniken, um damit zu beginnen?
Wie Sie sich denken können, gibt es eine ganze Schatzkiste an möglichen Methoden. Lassen Sie mich zwei oder drei herausgreifen, die besonders praktisch und einfach umzusetzen. Eins vorweg: Jedes dieser Tools hat ein gewisses „Ja, aber“. Nicht alles funktioniert überall gleich. Mit praktisch allem kann man es auch übertreiben. So viel als Warnhinweis …

O. k., verstanden! Wir bleiben gespannt!
Eine Methode hat zu tun mit dem Thema Dankbarkeit. In einigen Firmen, und ich kenne das aus Konzernen mit 25.000 und mehr Mitarbeitern, hat jeder Mitarbeiter für sich ein tägliches Dankbarkeitstagebuch zu schreiben, also jeder muss drei Dinge aufschreiben, die besonders gut, zufriedenstellend gelaufen sind. Damit erzielen Sie schon dramatische Effekte.

Klingt nicht soooo kompliziert!
Ist es auch nicht. Das nächste: Finden Sie Mittel und Wege, mittels derer sich ihre Belegschaft engagieren kann, etwas Nützliches für die Gemeinschaft tun kann. Die meisten Organisationen belohnen Mitarbeiter, die besonderes geleistet haben, indem sie ihnen ein Bonus auszahlen, ihren Namen in die Zeitung setzen oder sonst etwas. Effektiver ist es, jemandem, der außerordentliches geleistet hat, die Möglichkeit zu verschaffen, der Gesellschaft etwas zurückzugeben.

Was heißt denn das zum Beispiel?
Sie sind mein Mitarbeiter, und Sie haben großartiges geleistet. Dann wäre meine Form der Anerkennung, Ihnen mitzuteilen: „Christian, Sie haben so großartiges für die Firma geleistet, sie dürfen Mentor werden für Claudia, damit die von Ihnen lernt und genauso Großartiges leisten kann.“ Oder, so wird das hier bei uns an der Universität gemacht: Wenn jemand etwas besonderes vollbracht hat, bekommt er zwei Belohnungen – eine für sich selbst und eine, die er an jemand anderen weitergeben darf. Jeder wird damit zum Schenkenden und nicht nur zum Beschenkten. Ein kleines, aber sehr wirksames Tool der positiven Leadership. Eines hätte ich noch und zwar geht es da um Führungskräfte, die besonders viel positive Energie schaffen.

Was ist damit gemeint?
In der gesamten Literatur über Leadership wird Führung mit Einfluss gleichgesetzt. Es wird außerdem davon ausgegangen, dass eine Führungskraft besonders viel Wissen, besonders viel Kommunikation, besonders viel Austausch in sich vereint.

Klingt logisch, eigentlich!?
Ja, ist es auch. Wenn alle Informationen auf Sie zulaufen, können Sie darüber entscheiden, was wem mitgeteilt wird und auf welcher Basis dann welche Entscheidungen getroffen werden. Unsere Untersuchungen zur Führung richten sich aber auf die positive Energie. Wenn also ich als Führungskraft mit ihnen interagiere, Christian, sorge ich durch mein Handeln und Kommunizieren eher dafür, dass Sie aufblühen, sich wertgeschätzt fühlen, positive Gefühle und Sinn empfinden – oder trage ich durch Druck und Zwang dazu bei, dass Sie schlechter Stimmung sind, Druck empfinden und weitergeben etc.? Und wenn ich als „positiver Energetisierer“ auf Sie wirke, dann nährt sich Ihre Kraft und Leistungsfähigkeit und die Ihrer Mitarbeiter! Und wer so ein „positiver Energetisierer“ ist, wie wir das nennen, hat vier Mal so großen Einfluss auf die Leistung seines Teams, als wenn wir die Führung nach den traditionellen Kriterien Wissen und Einfluss messen würden. Positive Energie ist also viel wichtiger als Einfluss und Kommunikation!

Was heißt das konkret für mich als Führungskraft?
Die meisten von uns, die in Unternehmen oder Organisationen führen, beschäftigen sich viel zu sehr mit dem Einfluss und der Kommunikation und viel zu wenig mit der positiven Beziehungsenergie, die sie aussenden könnten. Eine brachliegende Ressource, auf die bislang fast niemand achtet. Und positive Energie vermehren, das kann auch die Person, die die Hauspost austrägt, völlig unabhängig von Rang und Einfluss – den Zugang zu Einfluss und Information haben aber eben nur die Menschen, die oben in der Hierarchie stehen. Es geht nämlich um Verhaltensweisen und nicht einfach um per Organigramm zugewiesene Befugnisse.

Sie schreiben auch von der „Heilung von Organisationen“. Was ist damit gemeint?
Ich will eigentlich seit langer Zeit ein eigenes Buch dazu schreiben, aber komme nie dazu … Ich meine damit Folgendes: Wenn Organisationen irgendeine Form von Trauma erleben, also etwa als ganze Büroteams durch die 9/11-Anschläge ausgelöscht wurden, oder auch einfach, wenn ein Team zum ersten Mal rote Zahlen macht, dann interessiert sich der Großteil der gegenwärtigen Forschung und Literatur für Themen wie Resilienz, also dafür, wie ich irgendwie über die Runden komme.

Und organisationale Heilung bedeutet dann genau was?
Stellen Sie sich vor, Sie haben sich irgendwo geschnitten. Ihr Körper hat jetzt eine Wunde, und vom Herz-Kreislauf-System über die weißen Blutkörperchen wird jetzt im Körper alles Mögliche, getan, um möglichst schnell den Heilungsprozess einzuleiten. Dann wird eine Art Schutz organisiert – bei einer Wunde ist das der Schorf, der vor neuer Verletzung schützen soll. Und dann irgendwann stellen Sie fest, dass der gebrochene Knochen nach dem Bruch viel fester und solider geworden ist als jemals zuvor.

Und dieses physiologische Modell der Heilung lässt sich auf Organisationen übertragen?
Ja genau. Ich kann einen sozialen Organismus, ein Team, ein Unternehmen, eine Organisation, aus einer Schädigung heraus verbessern, auf ein neues, besseres Niveau bringen als zuvor. Und darum geht es.

Was kann und soll das Personalwesen tun, um positive Leadership zu fördern?
Ich habe da leider keinen Fünf-Punkte-Plan. Aber per Definition geht es bei Human Ressources ja darum, Talente zu entwickeln, Menschen zum Aufblühen zu bringen, Mitarbeitern schlicht dabei zu helfen, besser zu werden. Leider geht es in vielen Personalabteilungen nur darum, blind Lob zu verteilen, für die Überwachung von Regeln zu sorgen oder um die Organisation von Trainings, um diese oder jenes zu verbessern. 

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Christian Thiele

ÜBER DEN AUTOR

Mehr Leistung, Freude, Gesundheit und Sinn, mit den Methoden der Positive Leadership: Darum geht es mir in meiner Arbeit als Coach, Trainer, Teamentwickler und Vortragsredner. Für Führungskräfte, Teams und Organisationen. Verliebt, verlobt und bald verheiratet mit Christiane. Vater. Skitourengeher.

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